(Kuriose) Sportriten und Aberglaube

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass Riten schon seit jeher wesentlicher Bestandteil der menschlichen Kultur sind und somit unweigerlich zum Menschsein dazugehören. Besonders augenscheinlich zeigt sich dies im (Leistungs-)Sport, wo es nahezu genauso viele Sportler wie Riten zu geben scheint!
Das Wort „Ritual“ entstammt dem Lateinischen („ritualis“) und bedeutet so viel wie „den religiösen Brauch betreffend“. Konkret handelt es sich dabei um eine stereotype Sequenz von Handlungen, welche von bestimmten Wortformeln und festgelegten Gesten begleitet an einem speziellen Ort ausgeführt werden und infolgedessen übernatürliche Kräfte im Sinne der handelnden Person beeinflussen sollen. Sie kennzeichnen sich vor allem durch strenge Verhaltensregeln, haben vorwiegend symbolischen Charakter und werden daher gerne auch im (Spitzen-)Sport praktiziert.  So lässt sich etwa bei genauerem Nachdenken feststellen, dass geradezu JEDES Sportereignis – ganz gleich ob nun Fußball, Tennis, Schwimmen, Basketball, Rugby, und, und, und – von ritualisierten Handlungsweisen begleitet wird. Der vorrangige Grund hierfür liegt jedoch nicht darin, zu unterhalten, sondern handelt es sich dabei vielmehr um ein Mittel zur Beruhigung. Demzufolge stehen Spitzensportler oftmals unter extremen Erfolgsdruck: Auf der einen Seite die Erwartungshaltungen der Fans, auf der anderen Seite die Fördermittel der Investoren, die es zu erhalten gilt. In diesen Situationen können Riten maßgeblich dazu beitragen, die Nerven zu beruhigen, Gefühle der Kontrollierbarkeit und Vorhersehbarkeit zu erzeugen sowie die dafür notwendige emotionale Stabilität zu gewährleisten.
  
Deutlich anders verhält es sich hingegen beim Aberglauben. Hiervon spricht man, wenn sich der Betroffene durch sein Handeln, dessen Ursache-Wirkung-Zusammenhang für Außenstehende nicht mehr nachvollziehbar ist, einen Vorteil verschaffen möchte. Dies war, um ein praktisches Beispiel zu nennen, etwa bei Kolo Touré, einem ehemaligen ivorischen Fußballspieler (Elfenbeinküste), der Fall, welcher es sich angewöhnt hat, stets als letzter Spieler seines Teams den Rasen zu betreten. Zum Problem wurde dies allerdings im Achtelfinale der Champions League 2008/09, als ein verletzter Kollege zu Beginn der zweiten Halbzeit verletzungsbedingt noch behandelt werden musste. Die Folge: Die Mannschaft musste deswegen einige Minuten mit nur neun Mann aufspielen, kassierte ein Gegentor und Touré im späteren Spielverlauf eine gelbe Karte!  Ähnlich schrullig verhält es sich beim bekennenden Astrologie-Freund Raymond Domenesch, einstiger Nationaltrainer der französischen Nationalmannschaft, der bei der WM 2006 vier im Sternzeichen Krebs Geborene (darunter Zidane und Vieira) auf den Platz stellte, da sie laut astrologischem „Befund“ als äußerst mannschaftsdienlich und teamfähig gelten würden. Die Sternenkonstellation unterlag allerdings der irdischen Aufstellung der italienischen Nationalelf und Frankreich wurde (nur) Vize-Weltmeister.
 
In den meisten Fällen sind Sportler von der Notwendigkeit und Wirksamkeit ihrer Rituale überzeugt, reden aber eher sehr ungern darüber. Ein paar Kuriositäten lassen sich aber dennoch nicht verbergen: Dies gilt insbesondere für die Tenniswelt, wo etwa Novak Djokovic stets vor dem Aufschlag schier endlos den Ball auftippt, Rafael Nadal seine Wasserflaschen akribisch in einer Reihe aufstellt, wobei die Etiketten immer in Richtung Court zeigen müssen, oder Serena Williams den Ball beim ersten Aufschlag stets fünfmal, beim zweiten Aufschlag stets zweimal auftippt und den Platz erst betritt, wenn ihre Schnürsenkel exakt gleich gebunden sind. Als äußerst exzentrisch erweist sich in diesem Zusammenhang auch der italienische Wettkampfschwimmer Santo Condorelli, welcher vor jedem großen Rennen seinem Vater, der im Publikum sitzt, den Stinkefinger zeigt. Eine ritualisierte Geste, die die beiden bereits seit Condorellis 9. Lebensjahr praktizieren. Deutlich rabiater geht es aber dann doch schon bei der neuseeländischen Rugby-Nationalmannschaft „All Blacks“ zu, die mit ihrem „Ka mate! Ka mate!“-Schlachtruf geradezu jeden in Angst und Schrecken versetzen. Es handelt sich hierbei um eine Art Tanzritual („Ka Mate Haka“), welches von furchteinflößenden Grimassen und lautem Gebrüll begleitet wird und einerseits dem Gegner vermitteln soll, wo der „ [neuseeländische] Bartl den Most holt“ und anderseits den Athleten Mut und Ausdauer einflösst!
  
Auch wenn einige der genannten Beispiele durchaus einen etwas befremdlichen Eindruck vermitteln, so können Rituale dieser und ähnlicher Natur fraglos zugleich als mentales Training gewertet werden. Sie vermitteln die Gewissheit, gut vorbereitet zu sein und bewirken eine Art „Placebo“-Effekt, der mögliche Zweifel am Gelingen deutlich minimiert.  Man muss vor allem glauben, dass es funktioniert. Und sollte es wider aller Erwartungen doch nicht rundlaufen, dann bleibt immer noch die Gewissheit, dass es ohne Ritual noch viel schlechter ausgegangen wäre!